Geschichte der DDR-Tanzmusik

Aus DDR-Tanzmusik
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Die DDR ist Geschichte, genauso wie ihre Tanzmusik.
Nach dem zweiten Weltkrieg fiel in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre in Europa ein Eiserner Vorhang, der Kalte Krieg ließ die Menschen frösteln. Die SED und die Regierung der DDR setzten durch, was das ZK der KPdSU im Februar beschlossen hatte: Im Osten eine Musik zu schaffen, die vom „neuen, sozialistischen“ Leben geprägt wird und damit im Osten Deutschlands auch auf dem Gebiet der Tanzmusik einen eigenen deutschen Weg zu gehen. So wurden Beschlüsse von Partei und Regierung gefasst, die anfangs konsequent das Senden, Produzieren und Spielen in der Öffentlichkeit von Jazz und Swing eingrenzten.

Am 4.April 1950 verbot das Ministerium für Volksbildung das Abspielen von angloamerikanischer Tanzmusik in der Öffentlichkeit. Auch sollte aus den ostdeutschen Lautsprechern die Musik der 1930er und 1940er durch neue, von der sozialistischen Entwicklung geprägte Schlager erklingen. Die im Osten 1947 gegründete „Lied der Zeit-Schallplattengesellschaft mbH“ veröffentlichte auf dem Label "Amiga" Aufnahmen, die diesem Anliegen kaum Genüge taten und überwiegend von „westlichen“ Komponisten und Autoren geschrieben bzw. eben solchen Orchestern und Interpreten aufgenommen wurden. So standen bis Ende der 1950er in einer Reihe mit Westinterpreten wie Undine von Medvey, Ursula Maury, Margot Friedlaender, Evelyn Künneke, Rita Paul, Bully Buhlan Ralf Paulsen oder Ilse und Werner Hass sowie dem Cornel-Trio die erste Schlagergeneration von DDR-Interpreten zu der u.a. Fred Frohberg, Sonja Siewert und Herbert Klein, Irma Baltuttis, Hanns Petersen und Brigitte Rabald zählen. Sie coverten allerdings zunächst überwiegend populäre Westschlager und wurden meist von Kurt Henkels und seinem Leipziger Tanzorchester begleitet. Westberliner Orchester wie Walter Dobschinski, Kurt Hohenberger und Lubo d’Orio wurden Mitte der 1950er abgelöst von den DDR-Orchestern Gerd Natschinski und Alo Koll, von Studioformationen wie Gerhard Honig und Georg Möckel bzw. von den ab 1955 offiziell bei den drei DDR-Sendern ansässigen Klangkörpern: Rundfunktanzorchester Berlin, Ltg.: Günter Gollasch (Berliner Rundfunk), Rundfunktanzorchester Leipzig (Radio DDR) und Großes Tanzstreichorchester des Deutschlandsenders.

Der grundsätzlich bis Ende der 1950er erfolgte Einsatz von West-Interpreten und Orchester war ein Balanceakt mit Kalkül: prominente Schlagerstars des Westens kamen auch mit Melodien von jungen DDR-Komponisten und Textautoren wie Gerd Natschinski, Walter Eichenberg, Gerhard Honig bzw. Ursula Upmeier, Helmut Kießling und Willy Schüller zu Gehör. Dies wiederum führte zu einer höheren Einschaltquote der DDR-Medien und der Kauf ihrer Schallplatten zum Umsatz bei Amiga, der einzigen Plattenfirma der DDR. Hier einzuordnen ist auch die erwähnte Tatsache, dass die erste Schlagersängergeneration häufig durch Westtitel, die bei Amiga produziert wurden, ihren Bekanntheitsgrad erhöhen konnte. Dies war je nach der „politischen Schönwetterlage“ mal mehr, mal weniger- auf keinen Fall aber im Interesse von Partei und Regierung. Das galt bis Anfang der 1960er auch für die Tätigkeit der Tanzmusik-Lektorate an den drei Rundfunksendern und bei Amiga. Tanzmusik- und Kulturkonferenzen unter Führung der SED verabschiedeten verstärkt ab 1958 Maßnahmen und Beschlüsse, die u.a. zur Eigenständigkeit der DDR-Tanzmusik führen sollten und in der Tat beitrugen: DDR-Musik- und Schlagerwettbewerbe, die vom Berliner Rundfunk durchgeführte „Kleine Premiere“, die Schaffung des Modetanzes Lipsi sowie die Gründung des Amiga-Nachwuchsstudios, aus dem dann 1958 das Rundfunk-Nachwuchsstudio entstand. Interpreten ab Mitte der 1950er wie Julia Axen, Jenny Petra, Helga Brauer, Mary Halfkath, Bärbel Wachholz, Hartmut Eichler, Erhard Juza, Paul Schröder wurden so entdeckt und gefördert.

Die bereits 1953 eingeführte Spielerlaubnis für Musiker wurde Ende der 1950er konkretisiert und auch für Interpreten erweitert. Letztlich musste ein auf der Bühne stehende(r) Sänger(in) einen Berufsausweis als solchen vorlegen und ab 1970 erfolgte eine Einstufung der künstlerischen Leistungen, die die Grundlage für das Honorar eines Interpreten bildete. Ab Anfang der 1960er wurden Nachwuchsstudios in den Bezirken und letztlich 1968 das Zentrale Studio für Unterhaltungskunst eingerichtet. Die Ausbildung hier galt als Studium. Der Abschluss war ein Diplom, mit dem man sich als „Staatlich geprüfter Schlagersänger(in)“ bezeichnen durfte. Die ab 1958 durchgeführte Fernseh-Talentshows „Herzklopfen kostenlos“ mit Heinz Quermann und ab Anfang der 1980er „Sprungbrett“ entdeckten u.a. in den 1960ern Arite Mann, Chris Doerk, Karin Heyn, Helga Zerrenz, Frank Schöbel, Roland Neudert, Volkmar Böhm, in den 1970ern Ingrid Raack, Peter Albert und Gerd Christian sowie Linda Feller, Olaf Berger, Henrik Bruch in den 1980ern, um hier nur einige zu nennen.

1984 sangen 220 Interpreten mit Berufsausweis auf einer Amiga-Single „Alt wie die Welt“ (Schöbel /Lasch), darunter Andreas Holm und Thomas Lück, Lutz Jahoda und Peter Wieland, Dagmar Frederic und Siegfried Uhlenbrock, Monika Hauff und Klaus- Dieter Henkler...Längst war der DDR-Schlager auch international anerkannt: U.a. zählen Bärbel Wachholz. Dagmar Frederic, Regina Thoss, Vera Schneidenbach, Hans-Jürgen Beyer, Uwe Jensen zu preisgekrönten Interpreten auf internationalen Festivals. Die eigenständige DDR-Tanzmusikszene hatte sich entwickelt. Besonders die Aufnahmen zwischen 1963 und 1967 im sogenannten „Kretschmer-Sound“ fanden auch in der damaligen Bundesrepublik reges Interesse, aber auch Schlager wie „Das schönste Mädchen der Welt“(Günter Geißler), „Immer wenn du lachst“ (Britt Kersten) oder „Es ist nie zu spät“ (Klaus Sommer)… Es waren hochklassige Produktionen, die sich kompositorisch, textlich und im Arrangement nicht vor den Titel im Westen zu verstecken brauchten. Sendungen wie bei Radio DDR „Schlagerlotterie/Schlagerrevue“ (ab Okt. 1958 Umbenennung – 1953 bis 1989) und „Schlager-ABC“ (1958 bis 1990) beim Berliner Rundfunk, die Fernseh-und Radio-Übertragungen des „Amiga-Cocktails“ von 1958 bis 1964, die Fernseh- „Tip-Parade“ von 1962 bis 1965 sowie u.a. die Fernsehsendungen „Schlagerstudio“ und „Bong“ trugen zur Popularität der DDR-Tanzmusik bei, in der bis zum Ende der DDR grundsätzlich liebevoll die deutsche Sprache gepflegt wurde. Das gilt übrigens grundsätzlich auch für die Rock- und Beatmusik.

Die DDR- Tanzmusik fiel mit ihren Akteuren nach 1990- wie andere DDR-Produkte auch- samt Studios, Verlage…in ein tiefes Loch. Bis heute wird von vielen Seiten her unbegründet versucht, sie dort zu belassen. Den DDR-Rundfunk-als größter Musikproduzent Europas- gab es nicht mehr. Das Plattenlabel „Amiga“ wurde gemeinsam mit den anderen Labels des „VEB Deutsche Schallplatten“ zunächst in eine GmbH umgewandelt, nach erfolgter Privatisierung bis 1994 stillgelegt und „abgewickelt“. Die beiden Musik-Verlage „VEB Lied der Zeit“ und „Hart-Musik- Verlag“ wurden für eine symbolische Mark nach Hamburg bzw. Bayern „verkauft“. Die Menschen im Westen Deutschlands kennen diese Musik zumeist nicht und vermissen deswegen auch nichts, auch wenn einige wenige wie Frank Schöbel oder Hauff& Henkler in der ZDF-Hitparade Erfolge feierten… Den Menschen im Osten wird hingegen von einigen Medien-Leuten und Politikern immer wieder eingeredet, dass sie früher „Honeckers Musik“ hören mussten oder heute nicht hören müssen. Nach dem Lesen der hier stehenden Seiten, die mit viel Akribie und generell Zeitaufwand von Ino Hammer zusammengetragen wurden, kommen Sie vielleicht auch zu meiner Einschätzung, dass der Ost-Schlager mit seiner 40-jährigen Geschichte ein Stück Musik-Historie des vergangenen Jahrhunderts ist und er deshalb als Teil eines deutschen Kulturgutes zu schützen und zu pflegen ist. In Hörerzuschriften aus der „alten BRD und Westberlin“, lese ich des Öfteren, dass so manches musikalisches Ostprodukt wesentlich besser ist, als sein Ruf. Im Zusammenhang mit meiner Radio-Sendung „Kofferradio“ auf ALEX-Berlin und mit den Lesungen zu meinen Schlagerbüchern weiß ich, dass die DDR-Tanzmusik ihre Fans noch heute hat.

Leonard Bernstein wollte keine Grenzen zwischen der sogenannten U- und E-Musik ziehen, sondern nur zwischen guter und schlechter Musik unterscheiden. Deshalb sollte der Schlager-Ost nicht mehr oder weniger in den Medien gemieden und nicht nur der Schlager-West täglich in Erinnerung gebracht werden.

Berlin, Juli 2016

Siegfried Trzoß, Schlagertexter, Buchautor und Moderator www.siggitrzoss.de